JETZT WIRD’S PERSÖNLICH: WIE VIEL „DIGITAL“ VERTRÄGT DAS RECRUITING?

Posted on 26 September 2022 In Neuesten Nachrichten

Die Herbstwelle droht und nicht nur dank des Münchner Oktoberfestes schlagen die Corona-Wogen wieder deutlich höher. Dennoch scheinen wir uns in gewissem Rahmen mit diesem Virus arrangiert zu haben. Denn waren in den letzten beiden Jahren noch strenge Kontaktverbote die Folge steigender Inzidenzen, scheinen wir nun im privaten wie auch im beruflichen Bereich nicht mehr so schnell auf das persönliche Miteinander verzichten zu wollen.

Zukunft Personal Europe setzte auf analoge Messeformate

Bestes Beispiel dafür ist die Zukunft Personal Europe, die vergangenen Monat in Köln stattfand. Nach drei Jahre Pandemie-Pause trafen sich über 16.000 HR-Experten und 500 Aussteller endlich wieder von Angesicht zu Angesicht, um sich über Trends und Entwicklungen in der Arbeitswelt auszutauschen. Und obwohl in kaum einem anderen Bereich die Digitalisierung so tiefgreifende Veränderungen bewirkt hat wie in der Personalführung und -beschaffung, waren neue Messeformate primär analog ausgerichtet. Ob Kamingespräche, Culinary Talks, Relax Spots oder Standpartys – Besucher und Aussteller waren sich einig, dass gute Gespräche eben doch nicht nur von ihrem Inhalt leben, sondern auch von der Atmosphäre und dem Gefühl für das Gegenüber.

Das richtige Maß finden

Wenn trotz aller digitalen Errungenschaften über 16.000 HR-Profis den persönlichen Messebesuch einer virtuellen Veranstaltung vorziehen, stellt sich die Frage, wieviel Digitalisierung der HR-Bereich grundsätzlich verträgt. Gerade im Recruiting gilt es, hier das richtige Maß zu finden. Denn legt man es darauf an, könnte man den gesamten Bewerbungsprozess und dazu auch langfristiges Talentmanagement mehr oder weniger kontaktfrei gestalten. Das hat sicher seine Vorteile, vor allem in Bezug auf den steigenden Zeit- und Kostenaufwand. Aber führt es letztendlich auch zu besseren Ergebnissen, zu einer ausreichenden Anzahl an qualifizierten und loyalen Mitarbeitern, die dem Unternehmen möglichst lange die Treue halten?

Digitalisierung ist kein Selbstzweck

Digitale Lösungen und Instrumente bereichern ohne Frage die HR-Welt, entlasten überforderte Personalabteilungen und sind die Basis für Recruiting-Strategien, die sich sowohl den gesellschaftlichen als auch ökonomischen Veränderungen anpassen. Aber Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Nur weil etwas digital machbar ist, ist es nicht zwangsläufig die bessere Alternative. Hier kommt es immer auf die jeweilige Aufgabenstellung an. Vor- und Nachteile zur analogen Herangehensweise sollten zumindest überprüft werden. Digitalisierung ermöglicht automatisierte Prozesse. In vielen Bereichen ist Recruiting ohne Automatisierung nicht mehr denkbar, zumindest wenn die Zahl der jährlichen Vakanzen, die Zahl der zu bespielenden Recruiting-Kanäle und die Größe des Talentpools analog eine ganze Armada an Personalern erfordern würde.

5 digitale Lösungen, die das Recruiting effizienter und effektiver machen:

  • Kandidatensuche: Externe Lebenslaufdatenbanken und Social-Media-Profile können automatisch nach angegebenen Kriterien durchsucht werden
  • Multiposting: Stellenanzeigen können zeitgleich auf mehreren Jobbörsen und Social-Media-Kanälen veröffentlicht werden
  • CV-Parsing: Mithilfe einer semantischen Analyse werden einzelne Textbausteine in Lebensläufen erkannt und in die Datenfelder des Bewerbermanagement-Systems übertragen.
  • Talentpool: Die interne, digitale Datenbank speichert Kontakte zu Talenten, die evtl. zu einem späteren Zeitpunkt für eine Stellenbesetzung in Frage kommen. Durch die Vergabe von Tags sowie durch Filter- und Suchfunktionen sind passende Kandidaten schnell auffindbar.
  • Kampagnen-Management: Talente können in spezifischen Verteilergruppen zusammengefasst werden und z.B. durch automatisierte E-Mail-Kampagnen zielgruppengerecht angesprochen werden.

Im Recruiting muss es „menscheln“

Durch digitale ATS- oder Talent-Management-Systeme können Recruiting-Ressourcen sinnvoll eingespart werden. Das ist wichtig und richtig, solange diese Einsparungen langfristig der Personalbeschaffung dienen. Denn es gibt nach wie vor Recruiting-Bereiche, in denen der persönliche Kontakt erfolgskritisch ist. Schließlich entscheiden Personaler nicht über Meter- oder Kiloware, sondern über die Gesundheit des eigenen Unternehmens, über seine Kultur, Produktivität und Innovationskraft. Digitalisierung hin, Automatisierung her – es muss auch „menscheln“ im Recruiting. Der persönliche Austausch mit Kandidaten und Bewerbern ist nicht nur wichtig für eine fundierte Beurteilung, er vermittelt auch Wertschätzung für den Menschen, der bereit ist, seine Fähigkeiten in den Dienst des Unternehmens zu stellen. Das wiederum gibt Aufschluss über die Unternehmenswerte und Arbeitgeberqualitäten.

Der persönliche Kontakt lässt sich nicht automatisieren

Zeit und Geld, die durch automatisierte Recruiting-Prozesse eingespart werden können, sollten Personalern Freiraum für die persönliche Kontaktpflege geben. Hier und da kann ein Anruf bei einem vielversprechenden aber noch unentschlossenen Kandidaten das Zünglein an der Waage sein. Bei der Besetzung von verantwortungsvollen Positionen sollte man sich zudem Zeit für ausführliche und individuelle Vorstellungsgespräche nehmen, die den Bewerber nicht an schales Speed-Dating oder Akkordarbeit erinnern. Auf Recruiting-Messen, Info- und Karrieretagen hat das Unternehmen die Chance, sich nahbar und authentisch zu zeigen. Und nicht zuletzt stellt ein gut organisiertes und intensives Onboarding die Weichen für eine möglichst lange, wertschätzende Zusammenarbeit. Diese Aufgaben lassen sich nicht automatisieren. Aber Digitalisierung kann an anderer Stelle helfen, mehr Zeit für persönlichen Austausch zu schaffen, der immer dann wichtig ist, wenn es um Menschen geht.


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